Norco Fluid 1.0 im Test – Die kanadische Umsetzung eines Freeriders

Der Schweiß rinnt von der Stirn. Langsam, aber unaufhaltsam, kurbelt sich der Fahrer des strahlend blauen Gefährts den La Grande Montagne. Ein blau, welches perfekt zum strahlend blauen südfranzösischen Himmel paßt. Jenseits der Straße sprießen aus der kargen Felslandschaft Gebüsche und Bäume hervor. Noch immer kurbelt sich der Biker diesen herrlichen Berg hoch, überglücklich solch eine Landschaft bei schönstem Wetter genießen zu dürfen. Der Blick gleitet nach links über das unter ihm liegende Tal hinweg und läßt in greifbarer Nähe den Grand Luberon erkennen. Bereits jetzt hat das blaue Gefährt, ein Norco Fluid 1.0, bewiesen, wie perfekt die Kanadier die Kriterien an einen Freerider in die Praxis umgesetzt haben.

Das Team der FRAKTUR auf dem Weg zum letzten großen Test des Norco Fluid. Die über den Rucksack gestülpte Protektorenjacke und der Fullfacehelm lassen erahnen, welch schwere Disziplin das Norco an diesem Tage zu bewältigen hat. Abgesehen von den Tests in heimischen Gefilden, absolvierte das Norco Fluid alleine in den letzten drei Tagen Aufenthalt in Südfrankreich über 5000 Höhenmeter. 5000 Höhenmeter harter Uphill, sowohl über Straße als auch über höchst technisch Trails mit Wurzeln und Steinen. Das Norco ist trotz des relativ hohen Gewichts von etwa 15,8 Kilogramm erstaunlich flink beim Uphill, benötigt aber auch schon mal, bei sehr technischen Passagen, harten Körpereinsatz. Die Fahrten bergab sind ein Genuß. Unbeirrt gleitet das extrem wendige Norco über Kanten und Wurzeln. Sprungeinlagen nimmt das Fluid gelassen entgegen.

Der Hinterbau, der von Specialized entwickelte und patentierte Horstlink, arbeitet perfekt. Anders kann man es nicht sagen. Der Viergelenker spricht sensibel auf alle Unebenheiten an. Die Verwendung von Industrielagern zahlt sich nicht nur beim Ansprechverhalten des Viergelenkers aus, sondern auch in Bezug auf Langlebigkeit. Der Luftdämpfer, ein Float RP3 von Fox, steckt auch heftige Schläge weg und erwies sich im Test als überrraschend hart im Nehmen. Die etwa 141mm Federweg, oder bei Bedarf einstellbaren etwa 115mm Federweg, erwiesen sich für den Freerider meist als ausreichend.

Das Konzept des Fluid erweist sich als sehr ausgeklügelt. Der Hinterbau nimmt Reifen von einer Breite bis zu 2.3 ohne Probleme auf. Probleme gibt es nur, wenn sich der Reifen bei Schlammfahrten enorm zusetzt. Wer meint, durch das Schleifen von Steinen in solch einem Fall dem Rahmen Schaden zuzufügen, wird eines besseren belehrt. Klever haben die Kanadier ein Extrablech im unteren Bereich der Schwinge für solche Fälle aufgebracht. Ein kleiner Nachteil des Norco ist das konstruktionsbedingt superkurze Sitzrohr. Aber auch hier dachten die Kanadier weiter. Eine Teleskopsattelstütze läßt den Biker die Sattelhöhe an den jeweiligen Trail anpassen. Nur bei Tragepassagen muß der Besitzer des Norco passen. Ein Schultern des Bikes ist nicht möglich. Aber wer mag schon sein Bike tragen?!

Vor dem Einsatz in Südfrankreich mußte das Bike bereits sein Können auf heimischen Trails beweisen. Die erste positive Überraschung war das gute Handling beim Jumpen. Der Fahrer eines Fluid ist sicherlich nicht in der Kategorie Dirtjumper einzuordnen, es geht ihm viel mehr um die gute Kontrolle bei Sprüngen auf Trails. Das Fluid läßt sich hervorragend in der Luft manovrieren und in die Landung dirigieren. Das Fluid liebt Singletrails, sei es bergauf oder bergab. Wer hohe Kanten oder mächtige Gaps springen möchte, sollte sich aber nicht für ein Fluid entscheiden. Der Luftdämper und der Federweg lassen Bigairs nicht zu. Norco gibt an, daß 90% aller Trails mit dem Fluid machbar oder fahrbar sind. Wir können dies nach dem Test bestätigen. Bigairs und phatte Dirts zählen definitiv zu den anderen 10%.

Der stolze Besitzer eines Fluid kann sich an einem hervorragend funktionierenden Freerider erfreuen, der recht hart im Nehmen ist. Der harte Test in Südfrankreich untermauert nochmal dieses Fazit. Das gut durchdachte Konzept des Norco zeigt sich auch in der Wahl der verwendeten Anbauteile. Die Hayes HFX-9 Bremse konnte auch bei Dauerbelastung überzeugen. Ein knackiger dauerhafter Druckpunkt sprechen für diese perfekt funktionierende Bremse. Die Manitou Nixon, ebenfalls in einer strahlend blauen Lackierung, paßt sich hervorragend in das Gesamtgefüge des Fluid ein.

Auch hier erwiesen sich die 145 mm Federweg meist als ausreichend, auch wenn das eine oder andere mal die Gabel bis zum Anschlag eintauchte. Die Verstellmöglichkeiten der Nixon sind immens, nur eine Lockout-Funktion fehlt. So läßt sich der Federweg unkompliziert per Drehschalter von 115 bis 145 mm einstellen. Genauso hervorragend ist der für den Hinterbau verantwortliche Luftdämpfer mit Propedal-Hebel. Dieser bewirkt bei Wunsch eine Versteifung des Hinterbaus beim Uphill, und ein sanfteres Ansprechen beim Downhill. Auch bei den Felgen wurde nicht gespart. Nicht weniger als die CrossLand von Mavic finden an dem Fluid Verwendung.

Einziges Makel sind unserer Meinung nach die Hutchinson Scorpion Reifen. Diese rollen zwar relativ gut und lassen das Fluid beim Uphill gut klettern, enttäuschen aber durch fehlenden Grip. Besonders auf nassen Wurzeln und Steinen können diese Reifen dem guten Fahrwerk des Fluid nicht gerecht werden. Ansonsten ist Sicherheit ist für die Kanadier ein wichtiger Faktor. So spendierten die Kanadier den Mavic CrossLand, die in Verbindung mit dem Hutchinson Scorpion tubeless, also schlauchlos gefahren werden können, dennoch zusätzlich einen Schlauch. Sicher ist sicher!

Auch bei der Wahl der Schaltung gehen die Kanadier ihren eigenen Weg. Als Schalthebel dienen an dem Norco Fluid die Sram X-9 Trigger. Diese sind einzig mit dem Daumen zu bedienen und konnten absolut überzeugen. Das für die hintere Schaltung verantwortliche Sram X-9 Schaltwerk erfreut durch präzise Gangwechsel. Der Gang sitzt, egal bei welchem Wetter. Doch ganz haben sich die Kanadier nicht dem japanischen Großkonzern entzogen. Zumindest der Umwerfer ist noch von Shimano. Einige der Anbauteile stammen von Truvativ, wie zum Beispiel die Kurbeln, der Vorbau und der Lenker. Ebenfalls eine gute Wahl der Kanadier. Dies zeichnet sich auch bei der Verwendung von schraubbaren Lenkergriffen aus.

Das Team der FRAKTUR war von dem Fluid so angetan, daß wir es diesem letzten und extrem harten Test unterwarfen. Eine Abfahrt, die selbst einem schweren Downhillboliden einiges abverlangt. Ein extrem technischer, mit losem Geröll und dicken Steinen durchsetzter Trail. Im unteren Verlauf wird diese Abfahrt zunehmend schneller und verlangt ein ausgewogenes Fahrwerk. Eine Abfahrt, die das Fluid an den Rand des Machbaren brachte. Der relativ steile Lenkwinkel von 69 Grad forderte seinen Tribut. Die losen dicken Brocken dieses Downhills brachten Unruhe und Nervosität in das bis dahin absolut überzeugende Fahrwerk des Fluid. Aber auch diese Abfahrt zählt mit Sicherheit zu den übrigen 10%. Nicht nur eine Höchstanforderung an den Biker und das Fahrwerk. Auch die Lackierung mußte zeigen, welche Nehmerqualität in ihr steckt. Die wild umherfliegenden Steine ließen nicht nur einmal ein lautes „Plöng“ erklingen, wenn diese auf den Rahmen aufschlugen. Die Lackierung sieht nicht nur gut aus, sie ist es auch.

Fazit:
So macht Freeride Spaß! Gut und leichtfüßig bergauf, schnell und sicher bergab. Extrem wendig und handlich läßt sich das Norco flink über die Trails bewegen. Die gute Verarbeitung und die gut gewählten Komponenten gibt es natürlich nicht zum Nulltarif. Das Norco Fluid scheint uns besonders für die Biker interessant, die ihr Leben nicht im Sessellift fristen oder ihre Körner für die Suche nach einem Shuttleservice verbrauchen wollen, „nur“ um den Abfahrtsspaß zu genießen. Für das Team der FRAKTUR die perfekte Umsetzung eines Freeriders ohne spezielle Vorlieben.

Farbe: Candy Blue
Preis: 2990,00 Euro
Gewicht: etwa 15,8 kg
Größen: S, M, L

Vertrieb: Fritz Wittich GmbH, Hallenstrasse 10-14, 33609 Bielefeld

Mehr Infos unter www.norco-bikes.de